Interview mit SKINNY PUPPY-Mitglied cEvin Key und dem ORKUS Musikmagazin, aus der aktuellen Ausgabe
Juli/ August 2000 : 

Brennpunkt Dresden


Seit ihrer Gründung im Jahre 1983 entwickelte sich die kanadische Band Skinny Puppy immer mehr zu einer der treibenden Kräfte des Musikgenres Industrial/Electro, das zu der Zeit noch nicht einmal unter diesem Namen firmierte und in der heutigen Form ohne den maßgeblichen Einfluss aus Vancouver wahrscheinlich ganz anders aussehen würde. Bill Leeb, Kopf der Kult-Combos Front Line Assembly und Delerium, verdiente sich tief in den Achtzigern dort auch seine ersten Sporen. Neben Front 242 zählen Skinny Puppy wohl zu den einflussreichsten Electro-Bands der Achtziger Jahre, und abgesehen von ihren Charterfolgen in Nordamerika inspirierten sie eine ganze Generation von Musikern auf der ganzen Welt zu mehr oder minder eigenständigen Weiterentwicklungen des typischen Vancouver-Electro-Dialekts. Der frühe Drogentod von Bandmitglied Dwayne Goettel, Ärger mit der damaligen Plattenfirma American Recordings sowie interne Spannungen läuteten vor fünf Jahren schließlich das Ende der Electro-Legende ein, und die verbliebenen Gründungsmitglieder Nivek Ogre und cEvin Key widmeten sich fortan eigenen, weit weniger erfolgreichen Projekten, die auf Namen wie Download, Plateau, Tear Garden oder Rx-Ritalin hörten.
Für viele Fans musste es wie ein schlechter Scherz klingen, dass nach all den Jahren ausgerechnet auf einem Festival in Dresden ein neues Kapitel in der Geschichte Skinny Puppys aufgeschlagen werden soll. Bemerkenswert ist an dem Unterfangen nicht nur, dass es sich um das erste Skinny Puppy-Konzert in Deutschland seit zwölf Jahren handelt, sondern dass es gleichzeitig als musikalische Grundlage für ein Live-Album dienen soll, das als "Back And Forth Vol. 5 Doomsday" den fünften Teil der "historischen" "Back And Forth"-Sammlerkollektion stellen wird. Dresden im Brennpunkt der Electro-Geschichte? Das folgende Interview dürfte so manches Fragezeichen über den Köpfen alter und neuer Skinny Puppy-Jünger in Luft auflösen lassen...


Orkus: Wieso habt ihr euch wieder zusammengefunden, und das ausgerechnet für einen Festival-Auftritt in Deutschland? Viele Fans haben die Ankündigung der Veranstalter zuerst für einen schlechten Scherz gehalten.
Cevin Key: Das Verhältnis zwischen mir und Ogre ist in letzter Zeit besser geworden, und vor allen Dingen lag es auch am Enthusiasmus der Promoter, die uns jedes Jahr wieder aufs Neue gefragt haben, ob wir uns nicht wiedervereinigen möchten. Die Idee war, aus dieser Reunion etwas Besonderes zu machen, indem wir nur eine Show spielen. Daher sehen wir den Auftritt eher als Party oder als Besuch an und weniger als Verpflichtung. Gerade diesen Aspekt fanden wir an der Sache besonders spannend.

Orkus:
Es ist damit also keine wirkliche Wiedervereinigung in dem Sinne, dass ihr wieder als Band zusammenarbeiten und neue Songs schreiben werdet?
Cevin Key: Um ehrlich zu sein, haben wir darüber noch gar nicht nachgedacht. Im Moment betrachten wir diese Show als unsere große Aufgabe, weil wir sie für ein Live-Album vor Ort aufzeichnen werden. Wir arbeiten sehr intensiv an der Show und an dem damit verbundenen Release, fast so, als würden wir an einem neuen Album und einer Bühnenshow arbeiten. Für uns ist das schon ein großer Schritt nach vorne, wenn man bedenkt, dass die Band in den letzten fünf Jahren überhaupt nicht existierte. Von diesem Punkt aus müssen wir einfach abwarten, wie sich die Sache entwickelt und wie viel Spaß wir dabei haben. Ich kann mir noch gar nicht vorstellen, wie es danach weitergeht. Es ist uns sehr wichtig, dass es sich nur um eine einzige Show handelt und wir uns voll darauf konzentrieren können. Wir stecken eine Menge Energie in dieses Projekt, und wir werden sehen, ob das Miteinander wieder funktioniert. Ein Hauptgrund, weswegen ich denke, dass wir dieses Konzert machen sollten, ist, dass, als wir das letzte Mal in Europa waren, die Mauer noch nicht gefallen war und der Ostblock noch existierte. Auch wenn es nur ein Gig ist, ist es ein gutes Gefühl für mich, dass wir jetzt im ehemaligen Ostblock vor Menschen spielen können, die es sich damals noch nicht aussuchen konnten, ob sie zu unseren Konzerten gehen wollen oder nicht.

Orkus:
Wie fühlt man sich denn, wenn man nach fünf Jahren plötzlich wieder ein Teil von Skinny Puppy ist?
Cevin Key: Wir werden sehen. Ich spreche wieder gern mit Ogre, doch es gibt natürlich dieses Loch, das der Tod von Dwayne in die Band gerissen hat. Seine Schlüsselposition kann nie wieder völlig ersetzt werden. Daher haben wir uns für das Konzert dazu entschlossen, ins Studio zu gehen und sein Originalmaterial direkt in unser Set zu integrieren, so dass wir diese Teile live miteinbauen können. Ich werde also auch seinen musikalischen Anteil an der Band mitübernehmen. Ich denke, das ist ein guter Weg, ihm sogar innerhalb der Show den nötigen Tribut zu zollen... Es fühlt sich irgendwie gut an, wieder bei Skinny Puppy zu sein. Immerhin hat Skinny Puppy an die 14 Jahre lang einen großen Teil meines Lebens bestimmt. Wenn ich jetzt Musik schreibe, dann muss ich mich beinahe schon zusammenreißen, denn was ich spontan schreiben würde, wäre typisch Skinny Puppy. Es ist wirklich seltsam, aber es ist für mich wesentlich anstrengender, einen Song zu schreiben, der nicht wie Skinny Puppy klingt.

Orkus:
Viele Fans werden sich fragen, ob ihr das alte Material für die Show noch einmal komplett neu bearbeiten werdet?
Cevin Key: Es wird nicht so weit verändert werden, dass es nicht mehr die ursprüngliche Musik darstellen würde. Wir werden keine Jungle-Loops oder ähnliche Dinge einbauen. Wir wollen uns nicht in eine Richtung weiterentwickeln, die die Leute nicht mittragen würden. Unsere alten Hardcore-Fans möchten, dass wir wie Skinny Puppy klingen. Sie wollen kein 1999/2000-Skinny Puppy-Remix-Album, auf dem manche Songs sich wie Prodigy anhören. Auf der Bühne möchten wir so glaubwürdig und authentisch wie möglich sein und unseren letzten Auftritten so weit wie möglich gerecht werden. Es wird also alles wieder sehr theatralisch und durchdacht sein, und wir werden sehr stark darauf achten, dass es nicht nur ein musikalisches, sondern auch ein psychedelisches Erlebnis wird. Alles, was Skinny Puppy früher live aufzubieten hatten, wird bei dieser Show wieder präsent sein. Wir setzen direkt dort an, wo wir vor unserem Ende aufgehört haben. Es wird sogar derselbe Toningenieur dabei sein, der uns schon auf unserer letzten Tour durch Europa begleitet hat. Es sind sogar dieselben Keyboard-Ständer... Ich finde es sehr aufregend, dass wir praktisch exakt dort weitermachen, wo wir 1992 aufgehört haben.

Orkus: Werden nur du und Ogre während des Gigs auf der Bühne stehen?
Cevin Key: Ja, nur wir beide. Da es sich um nur einen Auftritt handelt, hielten wir es für das Beste, Dwaynes Platz leer zu lassen. Die Leute wissen, dass wir elektronische Musik machen und dass man vieles über einen Sequencer automatisch ablaufen lassen kann. Und da wir diese Möglichkeit haben, wollten wir seinen Platz nicht neu besetzen. Wir haben sehr viel Zeit für die Vorproduktion aufgewandt, damit wir sichergehen können, dass all sein Material bei der Show zum Einsatz kommt.

Orkus: Wird es dieses Mal auch eine Multimedia-Show geben? Inwieweit wird sich diese Show von eurem letzten "Programm" in Europa unterscheiden?
Cevin Key: Wir waren 1988 das letzte Mal in Europa, und damals hatten wir noch überhaupt keine Mittel zur Verfügung. Wir konnten die Weiterentwicklung und Veränderungen in unserer Show zwischen 1988 und 1992 bisher nicht nach Europa bringen. Die jetzige Bühnenshow wird sich an der "Last Rights"-Tour von 1992 orientieren, mit Spezialeffekten, Multimedia-Projektionen und interaktiv in dem Sinne, dass alle Elemente zusammenspielen.

Orkus: Und wie sieht's mit den berüchtigten Splatter-Effekten aus?
Cevin Key: Ich denke, sie sind mittlerweile zu einer festen Institution und zu einem unverzichtbaren Teil von Skinny Puppy geworden. Ich glaube, ich kann garantieren, das diese Effekte nicht fehlen werden (lacht).

Orkus: Wann wurde die Idee zu diesem Live-Album eigentlich geboren?
Cevin Key: Es war sehr viel Vorproduktion nötig, um den Sound vorzubereiten, wegen des fehlenden Bandmitglieds. Wir mussten schon einiges vorab live aufnehmen. Das Interesse der Plattenfirma war sehr groß, ob der Gig nun mitgeschnitten würde oder nicht. Und nicht zuletzt war da die unglaubliche Aufregung, die die Ankündigung des Konzerts weltweit ausgelöst hat. Wir haben e-mails von Fans aus der ganzen Welt bekommen, die extra wegen des Konzerts aus Afrika, Südamerika oder China einfliegen wollen. Es ist verrückt.

Orkus: Ihr möchtet damit also den Wirkungskreis eurer Show vergrößern?
Cevin Key: Viele werden es nicht schaffen, an diesem Date in Ostdeutschland dabei zu sein. Wir hoffen, dass die ganze Arbeit, die wir in dieses Projekt gesteckt haben, durch das Live-Album auch für diese Leute nachvollziehbar wird. Diejenigen, die vor Ort sein werden, können sich genauso darüber freuen, weil sie das Ereignis live miterleben und durch die Aufnahme zu einem Teil der Show werden. Ich als Fan finde so etwas auch aufregend. Ich habe beispielsweise 23 Jahre darauf gewartet, Kraftwerk einmal live zu sehen. Das war damals ein sehr feierlicher Augenblick für mich. Man fühlt sich in dem Moment wieder wie ein kleines Kind. Ich möchte denjenigen Leuten diese Erfahrung ermöglichen, für die Skinny Puppy vielleicht eine ähnlich wichtige Position einnehmen.

Orkus: Ist das Konzert vielleicht der Versuch, den Pioniergeist, den ihr früher als Vorreiter der Elektronik-Szene hattet, in die Neuzeit zu transportieren?
Cevin Key: Auf jeden Fall. Seit unseren Anfängen in den frühen Achtzigern versuchen wir, die jeweiligen musikalischen Trends in unserer Musik zu repräsentieren, und wir hoffen, dass jeder Track, den wir spielen werden, die Stimmung seiner Zeit einfangen kann. Das ist meine Herausforderung bei der Sache.

Alexander Maciol

Mit freundlicher Genehmigung des ORKUS Musikmagazins. Juli 2000 - Alle Rechte vorbehalten . 

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